In den vier Jahren in denen ich nun nähe, habe ich insgesamt drei „richtige“ Hosen genäht. Mit „richtigen“ Hosen meine ich nicht solche mit zwei weiten Beinen und Gummibund, in die ich einfach rein- und rausschlüpfen kann. Ich meine damit solche, mit Seitentaschen, Abnähern und Reißverschlüssen. Solche, die im Idealfall auf den Punkt genau sitzen. Die Zigarettenhose Tyyni nach dem Schnitt von named clothing ist nun meine vierte. Verglichen mit den über 80 Kleidungsstücken, die ich „produziert“ hab‘ ist diese Anzahl Hosen extrem klein.
Ich könnte euch jetzt einfach erzählen, dass ich ungern Hosen trage. Die Wahrheit aber ist, ich tue mich schwer damit, sie zu nähen, weil ich durch die fehlende Erfahrung immer wieder an Grenzen stoße. Ich sammle aber auch kaum Erfahrung damit, weil ich eben kaum welche nähe. Das bekannte Katze-beißt-sich-in-den-Schwanz-Prinzip. Gäbe es eine Achillesferse des Nähens, meine wären Hosen. Das wird sich nun ändern. Ich werde mehr Hosen nähen. Hab‘ ich jetzt so beschlossen. Aber sprechen wir erstmal über den Schnitt. Noch schnell eine Warnung vorneweg, dieser Post wird lang und ist gespickt mit Details zum Nähvorgang. Wer eher der schnelle Überfliegertyp ist, schaut sich die Fotos an und überspringt gleich den Teil mit den Aufzählungspunkten. Just saying.
Die Hose Tyyni von named stand vom ersten Augenblick ihrer Veröffentlichung an auf meiner Liste. Vor allem die für Zigarettenhosen typische schmale und saubere Silhouette und die hohe Taille hatten es mir angetan. Sie war so fest in meinem Winternähplan verankert, dass ich mir in Istanbul extra für den Zweck zwei tolle Stoffe ausgesucht habe. Einmal diesen karierten Stoff mit Stretchanteil und noch einen weiteren unifarbenen Anzugstoff.
Das Phänomen, wenn ich solche schönen Schnittmuster sehe, ist immer gleich. Vor lauter Vorplan- und Stoffkauffieber, immer bereits mit dem fertigen Stück vor Augen, vergesse ich immer noch gern, dass der wichtigste Vorgang an sich, der Nähvorgang, mit vielen Hürden verbunden sein kann. Die Hürde dieses Schnittes war genau diese wunderschöne schmale klare Form und die damit verbundene Eigenschaft, keine Nähfehler zu verzeihen. Man sieht jede schiefe Naht. Jede kleine Beule fällt ins Gewicht. Der Schnitt ist perfekt für Perfektionisten. Und wer kein Perfektionist ist, der wird mit diesem Projekt entweder zu einem erzogen oder er schmeißt das Projekt mit Karacho in die Ecke. Meine Tendenz ging zu Ersterem. Ich hab‘ viel gelernt, das ich bei der nächsten Hose umsetzen werde. Hier nun meine Lessons Learned:
- Beim Vergleichen der Maße vor dem Zuschneiden war ich eher unsicher, ob der Schnitt am Ende vielleicht nicht doch zu eng wird und so schnitt ich erst eine Größe größer zu. Verkleinern konnte ich ja immer noch. Bevor ich die Hosentaschen anbrachte, heftete ich die Hose und zog sie testweise an. Sie war natürlich zu groß. Anstatt mich nun Stück für Stück nochmal heftend vorzuarbeiten, beschloss ich, dass es reicht, wenn ich statt 1 cm Nahtzugabe, einfach 2 cm Nahtzugabe an den Seiten und im Schritt berücksichtigte. Und nähte los. Mööööp.
- Die Hose enthält unauffällige Seitentaschen. In bisherigen Schnitten hatte ich Taschenbeutel immer bereits an den Hosenteilen befestigt und dann erst die Hosenseiten zusammengenäht. In der Anleitung werden jedoch die erst die Außenseiten der Hose miteinander verbunden, die Taschenbereiche werden dabei ausgespart und dann im zweiten Schritt fertiggestellt. Das heißt, dass die Taschenbeutel rechts auf rechts auf diese Aussparungen kommen und dann umgeklappt werden. Genau dieser Vorgang führte dazu, dass meine Taschen an den Ecken ausbeulten. Ich bekam keine klare Silhouette hin. Ich glaube, dass das Fehlerpotenzial kleiner gewesen wäre, hätte ich die Taschen vorher angebracht.
- Reißverschlüsse an Hosenschlitze zu nähen würde ich übrigens als meine zweite Achillesferse des Nähens bezeichnen. Der Reißverschlussbereich, der den Reißverschluss verdeckt, wird ihn jedoch, wenn nicht auf den Punkt genau richtig genäht, bei jeder zweiten Bewegung immer wieder entblößen. Das, verbunden mit Beulen an den Taschen, führt bei mir dazu, dass der obere Bereich der Hose sehr unruhig aussieht. Durch die Karos wird dieser Effekt noch einmal verstärkt.
- Auch im fertig genähten Zustand war die Hose immer noch zu groß. Ich habe hinten in der Mitte nochmal 2 cm Mehrweite weggenommen, dadurch ist der Sitz zwar etwas besser geworden, aber vorne am Schritt beult die Hose immer noch und verstärkt noch einmal die „Unruhe“ von der ich spreche. Hätte ich bei Punkt eins alles richtig gemacht, gäbe es diese Beulen nicht. Dafür sitzt die Hose allerdings hinten nun super. Man muss sich ja an den kleinen Dingen erfreuen.
Alles in allem habe ich natürlich meine Lieblingsbereiche an der Hose, die ich auch nach der Fertigstellung schätze, wie zum Beispiel der Sitz hinten und die Länge der Hose. Auch der hohe Bund ist sehr gemütlich und ich fühle mich damit gut angezogen, auch wenn ich mich bücke oder die Arme hebe. Aber die „Unruhe“ am vorderen Bereich und im Bereich der Taschen ist mir persönlich immer noch zu groß. Ich habe beschlossen, sie nun als Probeteil zu nutzen und bei der nächsten Hose die Kernfehlerpunkte noch einmal zu beachten. Überhaupt, Probeteile. Bisher habe ich durch meine Ungeduld den Gedanken verdrängt, mit Probeteilen zu arbeiten. Bei anspruchsvolleren Stücken ist es jedoch unverzichtbar, Änderungen und Anpassungen am Schnitt vorher auszutesten.
Werde ich die Hose nun tragen? Ja, auf jeden Fall. Allerdings werde ich sie mit längeren unifarbenen Oberteilen kombinieren, so dass dieser unruhige etwas Teil verdeckt wird. In diesem Fall hab‘ ich ihn übrigens ebenfalls mit einem named Schnitt kombiniert. Den Sloane Pulli aus Sommersweat, den ich bereits im Sommer genäht, extrem viel getragen, aber bisher noch gar nicht hier gezeigt hatte. Den gleichen Schnitt hatte ich auch schon für meinen Refashion Sweater verwendet. Der Schnitt ist wunderbar schlicht und durch die Abnäher macht er eine tolle Linie. Ich finde, er passt super zum Outfit.
Hello.
Puh! Ich hoffe, ich hab‘ euch mit diesem Post nicht zuviel Angst vor dem Schnitt oder vor dem Nähen von Hosen gemacht. Mein Fazit ist: Der Schnitt ist perfekt für alle, die sich gerne einmal herausfordern möchten. Er erfordert sehr sauberes nähen, weil Fehler sofort in Form von Beulen und Unebenheiten auffallen. Um Frust zu vermeiden, empfehle ich, vorab aus einer ähnlichen Stoffart ein Probeteil zu nähen und sich Schritt für Schritt an die Passform zu nähern. Mehr Probestücke bei anspruchsvollen Schnitten werden übrigens auch mein Ziel für 2017 sein. Und Hosen. 2017 wird mein Jahr der Hosen. Wissta Bescheid.
Ihr Lieben, ich wünsche euch einen wunderbaren Donnerstag!
Liebste Grüße,
Selmin
Hose
Schnitt: Tynni von named clothing
Stoff: Stoffmarkt Istanbul
Sweater
Schnitt: Sloane Sweatshirt von named clothing
Schuhe
John Baker & Son
Verlinkung: RUMS
Fredi
Jetzt freue ich mich 1. auf meinen Sloane Pulli und 2. auf mein nächstes Hosenprojekt 🙂
Und auf deine verbesserte Version auch, ich glaub, die wird dann perfkt!
Liebe Grüße, Fredi
Selmin
Daaaanke! Das hoffe ich doch:-)
ani Lorak
Wow! Wie mutig bei Deinen Ängsten dann Karostoff zu wählen. Ja – vorne beult es ein wenig, es fällt mir auf – aber kombiniert mit einem langem Shirt verschwindet es und der Advents-/Weihnachtsbauch hat Platz… ;-)) Nein – im Ernst finde ich gut und danke, dass Du Deine Erfahrungen hier teilst – ich lese das gerne und auch ich muss mal an eine Hose ran… Im Texitlunterricht mit Gummizug aus tollem Hosenstoff… was mich da ritt… Naja – Herausforderungen sind dafür da, um angenommen zu werden. Steht Dir – schrieb ich das schon? Mag ich. Irgendwann ich auch….
Selmin
Hihi, Du wirst lachen aber ich hatte bei dieser Hose auch doch kurzfristig überlegt ob ich nicht einfach eine mit breitem Gummizug mache und mich dann eines Besseren besinnt:-) Ich drücke Dir die Daumen, wenn Du Dich irgendwann auch dran setzt:-) Danke und liebste Grüße, Selmin
Anja
Genau wie du vermeide ich das Nähen von richtigen Hosen, aus genau den gleichen Gründen, Tasche und RV, könnte mich bisher jedoch nicht dazu durchringen, einen Schnitt zu kaufen. Gratulation an dich und ganz sicher wird es von Mal zu Mal besser, normaler Lernprozess. LG Anja
Buntekleider
Ich habe die Tyyni auch genäht, weil sie mir sofort ins Auge gesprungen ist, als die neue Kollektion veröffentlicht worden ist.
Der Schnitt ist sehr üppig an den Oberschenkeln und am Po. Außerdem ist der Untertritt beim Reißverschluss sehr knapp bemessen. Ich nähe ja sehr gerne Hosen und habe das bei meiner Hose geändert. Im Original ist es aber sehr schwierig, einen Reißverschluss einzunähen,der nicht aufspringt.
Ich habe das Hosennähen lieben gelernt, nachdem ich die Ginger Jeans von Closet Case Files nach ihrem Sewalong genäht habe. Der ist toll und danach geht jeder Reißverschluss rein wie Butter.
LG,
Claudia
Selmin
Oh, danke für den hilfreichen Tipp mit dem Untertritt, ich dachte, es läge an meinen Nähkünsten, dass es immer aufspringt. Ich habe mich gerade in deine Sorell Hosen verliebt und die schnell auf meine to sew Liste aufgenommen:-) Liebste Grüße, Selmin
ottiliewagner
Hosen nähen ist wirklich eine große Klippe im Näholymp, finde ich auch. Bei mir sind so viele Hosen entstanden, die ich nur kurz getragen habe, bis ich halbwegs den Dreh mit der Passform raus hatte. Aber das sieht bei dir super aus! Mir helfen dann Abb, welches Problem, welche Änderungen brauchen. Liebe Grüße Michaela
Selmin
Haha, Klippe:-) Einmal kopfüber losspringen….ich hab‘ tatsächlich auch vergeblich nach Sewalongs oder Tipps online gesucht, aber der Schnitt ist dafür wohl leider noch zu neu…Liebste Grüße, Selmin
Iris
Hab mich bis jetzt nur an Leggings ran getraut.
Dein Post macht mir Mut es mal zu versuchen eine andere Hose zu nähen.Danke dir für die Erklärungen…Und es muss ja nicht immer gleich perfekt sein…Das wäre doch langweilig;)
LG.Iris
Selmin
Hach, Leggins muss ich auch mal nähen. Hast Du das mit einer normalen Nähmaschine gemacht oder mit einer Coverlock? Perfekt muss natürlich nix sein, stimmt, das sage ich ja auch immer, aber bei diesem Projekt hatte mich irgendwie der Ehrgeiz gepackt…naja:-) Liebste Grüße, Selmin
Tabea
Also ich habe immer das Gefühl, dass Hosen neben Mänteln irgendwie die Königsklasse beim Nähen sind, weswegen es wohl noch JAAHRE dauern wird, bis ich mich an sowas ran traue…
Der Schnitt sieht wirklich perfekt aus. Also sowas ist ja einfach ein Traum – eine hohe Taille ist für mich nämlich das schönste, was eine Hose haben kann!
Dass deine Hose nun etwas zu groß ist, ist natürlich schade. Aber ehrlich: Ich hätte es wie du gemacht – aus Angst, dass ich den guten Stoff und die Arbeit verschenke, wenn ich zu dick für mein Werk bin.
Ich werde mir das mit den Probeteilen mal merken… denn bald will ich mich ja an meine erste Kleidung wagen.
Viel Erfolg mit den Hosen in 2017!!
Achja, und mir hast du keine Angst vor Hosen gemacht- die war vorher schon da. Aber jetzt will ich die Herausforderung noch eher annehmen, denn deine Hose gefällt mir einfach sooo gut, dass ich auch sowas nähen können will 😉
Liebe Grüße
Selmin
Danke liebe Tabea! Ooooh ich drücke dir die Daumen für Deine ersten Kleidungsstücke! Liebste Grüße, Selmin
Christine
Liebe Selmin,
das ist mal wieder so ein Text, bei dem ich mehrmals heftig nicken und „kenn‘ ich“ murmeln musste. Absurderweise nähe ich Hosen total gerne, obwohl sie selten auf Anhieb gut passen (manchmal auch gar nicht 😉 ). Und beim Thema Probeteile siegt bei mir auch meistens die Ungeduld.
Mit dem Karostoff hast Du die Perfektionslatte auch ziemlich hoch gehängt. Trotz der kleinen Makel aber eine schöne Hose und bestimmt ’ne gute Ausgangssituation für Version 2.
Schöne Grüße
Christine
Selmin
Danke liebe Christine, tja, ich hatte halt nur die tolle fertige Karohose vor Augen und nicht den Vorgang an sich, da greift man schonmal zum Karostoff anstatt vielleicht mit einer Unifarbe anzufangen…aber das wäre ja langweilig:-) Lalala…liebste Grüße, Selmin
Anne
Liebe Selmin, ich find das prima, wie ehrlich und selbstkritisch du immer von deinen Erfahrungen und trial and error berichtest. Die Hose passt aber von der Grundoptik genau zu dir. Für die nächste Hose mit RV empfehle ich dir das entsprechende Video von Farbenmix dazu. Da wird das Ganze auf einmal zum Kinderspiel.
Selmin von Tweed & Greet
Danke liebe Anne! Ja, nützt ja leider nix, mir was in die Tasche zu lügen, neech?:-) Vielen lieben Dank für den Tip mit dem Videotutorial, das werde ich mir dann auf jeden Fall zu Gemüte führen! Liebste Grüße und einen schönen 1. Advent, Selmin
Cathrin
Liebe Selmin,
deine Hose ist toll geworden, trotz kleiner Fehlerchen.
An Hosen habe ich mich auch noch nicht getraut. Ich glaube, das liegt auch daran, dass viele sagen, Hosen sind schwierig zu nähen. Als ich angefangen habe zu nähen, hat mir niemand gesagt, dass Ärmel an Blusen einnähen schwierig ist bzw. dass Blusen nähen nichts für Anfänger ist. Also habe ich es einfach gemacht und hatte nie Probleme damit. Haha
Ich glaube daher, man sollte weniger grübeln und Zweifeln, sondern das nähen, worauf man Lust hat. Die ersten Teile werden meist nicht perfekt. Und das müssen Sie auch nicht sein.
Mit der Zeit wird man immer besser, so wird es auch dir mit den Hosen gehen. Und irgendwann wirst du zurückblicken und denken, wo waren eigentlich noch mal die Probleme beim Hosen nähen?
In diesem Sinne: 2017 wird das Jahr der Hosen !
Viele Grüße, Cathrin
Elisabeth
Hej Selmin! Habe dein Blog erst kürzlich entdeckt, aber du hast es schon in meine feedly-must-reads geschafft 🙂 sehr sehr cool, was du so machst und wie du dich für die Nähcommunity engagierst! An “echte“ Hosen habe ich mich auch noch nicht rangetraut, aber ich habe zum letzten Geburtstag das Büchlein “Pants for Any Body“ von Pati Palmer und Susan Pletsch bekommen, und auch wenn ich wie gesagt den Schritt zur Praxis noch nicht gewagt habe, bin ich von den extrem anwendungsorientierten Hinweisen und Illustrationen im Buch schon jetzt sehr begeistert. Es geht praktisch darum, wie man*frau an einem beliebigen Standard-Hosenschnitt lernt, wie die eigene Körperform verläuft und welche Anpassungen man deshalb auch bei jedem anderen Hosenschnitt wird vornehmen müssen. Sehr gut finde ich auch den Tipp, den ersten Mock-up mit 1x1cm-Karostoff zu machen, weil man da gut sieht, wo es Probleme mit der Passform gibt und weil man die Änderungen zur Dokumentation leichter nachvollziehen kann. Vielleicht ist das Buch ja was für dich!
Liebe Grüße
Elisabeth
Selmin von Tweed & Greet
Hallo liebe Elisbeth, vielen lieben Dank für die netten Worte und Deinen coolen Tipp! Da muss ich mal recherchieren☺️ Liebste Grüße, Selmin