Der Fadenlaufpfeil auf einem Schnittmuster. Das Erste, das ich damals in meinem Nähkurs über den Fadenlauf lernte, war, dass ich diesen berühmten Pfeil immer parallel zur Webkante legen muss. Das hab‘ ich damals auch immer brav gemacht, allerdings ohne wirklich zu wissen, was er eigentlich genau bedeutet. Im Laufe meiner „Nähkarriere“ stellte ich fest, dass das auch andere einfach so hinnehmen, ohne ihn zu hinterfragen. Wiederum andere, achten überhaupt nicht darauf, und legen Schnittteile nach Lust und Laune auf den Stoff. Weil es ihnen niemand gezeigt hat, wenn sie sich das Nähen z.B. selbst beigebracht haben.
Je mehr ich mich mit Nähen beschäftigte, desto interessanter fand ich später diesen Pfeil. Und heute sitze ich hier und werde dem Thema Fadenlauf einfach mal einen kompletten Post widmen. Ernsthaft. Ich finde, er ist wichtiger und viel spannender als so mancher von uns denkt.
Es ist nämlich genau dieser Pfeil auf dem Schnittmuster, von dem – z.B. neben der Stoffart, und dem Gewicht des Stoffes – der Fall und die Passform eines Kleidungsstücks abhängt. Der Pfeil des Fadenlaufs gibt die Richtung vor, in die wir die Schnitteile auf den Stoff legen und entscheidet später nicht nur über die Richtung eines möglichen Musters, sondern auch darüber, ob ein Schnittteil stabil bleibt oder sich dehnt.
Kleiner Exkurs vorab: Web- und Maschenware
Bevor wir ins Thema Fadenlauf einsteigen, gibt’s ganz kurz einen Ausflug über Stoffaufbau, damit klar wird, was der Fadenlauf eigentlich wirklich ist. Nämlich, die Richtung des in den Stoff eingearbeiteten Fadens. Bei einem gewebten Stoff, der aus vertikal und horizontal verlaufenden, miteinander verwebten Fäden besteht, heißen die senkrecht verlaufenden Fäden, Kettfäden und die waagerecht verlaufenden Fäden, Schussfäden.
Die senkrechten Kettfäden verlaufen dabei gleichzeitig parallel zur Webkante. Hier spricht man von einem geraden Fadenlauf, bzw. Längsfadenlauf. Der Stoff ist in dieser Richtung sehr stabil in seiner Form nicht dehnbar.
Den Verlauf des Fadens in Schussrichtung, also in die horizontale Richtung, bezeichnet man als Querfadenlauf. In Richtung des Querfadenlaufs ist der Stoff etwas weniger stabil und dehnt sich leicht. Manchmal wird hier auch bewusst elastisches Material verwendet, wie z.B. Stretch, um Webstoffe für eine bessere Passform dehnbar zu machen.
Der schräge Fadenlauf verläuft im 45° Winkel zur Webkante. In diese Richtung ist der Stoff ganz besonders dehnbar. Man kann selbst ganz einfach an einem Stück Stoff überprüfen, wenn man auf beiden Seiten diagonal am Stoff zieht.
Bei einem Stoff, der aus Maschenware besteht, z.B. Jersey, wird ein durchgehender Faden zu Schlingen geformt, die miteinander verbunden werden. Dadurch ist Maschenware ist im Gegensatz zu Webware viel dehnbarer, und das sogar in beide Richtungen. Wobei es auch hier eine unterschiedliche Dehnbarkeit abhängig von der Richtung gibt: In Querrichtung, also zur Webkante ist auch ein Stoff aus Maschenware dehnbarer als in Längsrichtung und am dehnbarsten im schrägen Fadenlauf.
Die Bedeutung des Fadenlaufpfeils auf einem Schnittmuster
Der Pfeil auf dem Schnittmuster zeigt immer die Richtung an, in die der gerade Fadenlauf verläuft. Deswegen muss beim Zuschneiden darauf geachtet werden, dass er parallel zur Webkante und damit in Richtung der Schussfäden verläuft. Er zeigt uns aber auch gleichzeitig, in welcher Position ein Schnittteil auf den Stoff aufgelegt werden muss. Je nachdem, wie der Pfeil auf dem Schnittteil eingezeichnet wurde, kann sich diese Position nämlich ändern.
Er ist übrigens keine Erfindung, die nur für uns Hobbynäherinnen erstellt wurde. Im Gegenteil. In der Bekleidungsindustrie wird durch den Fadenlaufpfeil auf einem Schnitt die Stoffrichtung kommuniziert. So können bestimmte Passformen erzielt oder z.B. grafische Highlights wie der Verlauf eines Streifenmusters auf einem Stoff bestimmt werden. Habt ihr Euch schon einmal gefragt, warum der Pfeil auf einem Schnittmuster meistens zwei Spitzen hat? In der Industrie kann so ein Schnittteil auch nur mit einer Pfeilspitze ausgestattet sein. Dann bedeutet das, dass der erforderliche Stoff einen Flor hat, wie z.B. Samt oder Cord. Die Pfeilspitze zeigt dann die Florrichtung an, in die der Schnitt auf den Stoff aufgelegt werden muss. Da im Hobbynähbereich je nach Geschmack mit unterschiedlichen Stoffen gearbeitet werden kann, ist die Florrichtung nicht relevant und es gibt hauptsächlich Pfeile mit zwei Spitzen. Es sei denn, jemand würde einen Schnitt herausbringen, der nur für Samt geeignet ist.
Kleidungsstücke wie Hosen und Hemden werden üblicherweise im geraden Fadenlauf zugeschnitten. Durch die stabilen Kettfäden erhalten sie dann Halt in ihrer Längsrichtung und durch das Nachlassen der Schussfäden in die Waagerechte, passen sie sich dem Körper an. Weicht man dann von diesem Fadenlauf ab, kann es passieren, dass sich ein Kleidungsstück komisch verdreht. Die Erfahrung hat bestimmt jeder einmal gemacht, der den Fadenlauf beim Zuschneiden von Hosenbeinen nicht ganz so genau genommen hat.
Man kann Schnitteile aber auch in Querrichtung zuschneiden. Dann verläuft die vordere und hintere Mitte eines Schnitteils im rechten Winkel zum Längsfadenlauf. Beispielsweise werden Schulterpassen von Hemden so zugeschnitten, weil sie dann am Rücken formstabiler sind.
Jedoch können Kleidungsstücke auch in einem schrägen Fadenlauf zum Stoff gezeichnet werden. Dabei geht der Pfeil auf dem Schnitt zwar weiterhin parallel zur Webkante, das Kleidungsstück wird aber in einem 45°-Winkel auf den Schnitt gelegt. Der Stoff ist in diese Richtung nicht mehr so formstabil. Manchmal ist genau solch‘ eine fehlende Formstabilität bei Kleidern oder Röcken erwünscht, weil sich der Stoff dem Körper besser anpasst und man ggf. auf Abnäher verzichten möchte.
Der Fadenlauf kann von den Schnittmusterdesignern also gezielt eingesetzt werden, um gewünschte Designkriterien zu erfüllen. Je nachdem welche Art von Stoff für der Schnitt vorgesehen ist, kann er auf diese Weise einen wichtigen Part im Aussehen und der Passform spielen.
Und auch wir als Verwender von Schnittmustern, können mit dem Fadenlauf bewusst spielen. Das erfordert manchmal zwar etwas Erfahrung, weil dann auch schonmal Mehrweite reduziert oder hinzugegeben werden muss, aber zum Beispiel gerade bei gemusterten Stoffen, eröffnen sich spannende Designdetails für einzigartige Hingucker.
Puuuh, ganz schön viel Text für so einen unscheinbaren Fadenlaufpfeil. Aber er ist eben nicht nur nur ein Pfeil, sondern relevantes Kommunikationsmittel vom Schnittersteller an die Person, die den Schnitt zuschneidet. Und ein beachtenswertes Element, dass bewusst wichtigste Kriterien eines Kleidungsstücks wie Passform und Design bestimmt. Er hat definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient.
Auf das wir nun alle zu bewussteren Hobbyschneiderinnen werden! Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag!
Liebste Grüße,
Selmin
Fredi
Ich muss sagen, ich lese gerne solche informativen Zusammenfassungen von einem so komplexen Thema. Klingt zwar im ersten Moment total langweilig, ist aber echt ganz spannend! 🙂
Jetzt frage ich mich nur, ob beim schrägen Fadenlauf die Streifen nicht eigentlich von der Mitte nach unten verlaufen müssten? 😀 Total irrelevant, aber ich hab bestimmt zwei Minuten überlegt, wie diese Streifen verlaufen… 😉
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag!
Selmin von Tweed & Greet
Hahaha, Du Fuchs! Du hast total Recht, irgendwann war ich wohl blind:-D Ist zwar nur eine grobe Illustration, um die Idee klarzumachen, aber ich hab’s grad aktualisiert und das Schnittmuster gedreht:-) Soll ja alles seine Ordnung haben:-) Liebste Grüße, Selmin
Fredi
Perfekt, jetzt passt alles 😀
jennifer-heart
Sehr informativ! Danke für die gute Erklärung. Als ich den Titel gelesen habe, habe ich mich gefragt: „Fadenlauf? Was war das denn noch mal???“ ?
Selmin von Tweed & Greet
Hihi, jetzt weißt Du’s wieder:-)
Jana
Ganz vielen lieben Dank für diesen Artikel. Ich liebe und verschlinge so etwas. Danke für die Mühe ?
Selmin von Tweed & Greet
Gerne:-) ich mag solche Artikel auch:-)
Susanne Dienstag
Gut erklärt, merci; habe ich gleich gepinnt.
LG von Susanne
Selmin von Tweed & Greet
Gerne und dankeschön:-)
Liesylotta
Ja, der Fadenlauf……….bei manchen Stoffen hatte ich da schon so meine Problemchen gehabt. super toll erklärt. Danke für die tolle Illustration, finde ich sehr gut.
Jetzt fehlt nur noch die linke und rechte Seite der Stoffe, oder hast du das auch schon erklärt,
…………da habe ich bei manchen Stoffen echt keinen Plan, die sehen von beiden Seiten gleich aus.
Liebe Grüße
Martina
Einen schönen sonnigen Sonntag
Selmin von Tweed & Greet
Danke liebe Martina! Zu rechten und linken Stoffseiten habe ich explizit noch nichts erklärt. Ich entscheide mich im Zweifel aber einfach immer für die die ich schöner finde. Und wenn beide Seiten gleich aussehen, nehme ich einfach eine davon:-) Liebste Grüße und einen tollen Restsonntag, Selmin
Tabea
Super erklärt! Ich habe das vor Jahren mal auf Youtube gesehen… aber biser ignoriert, da ich nie neuen Stoff gekauft habe und auch erst ein einziges Mal ein Schnittmuster verwendet habe…
In Zukunft werde ich an dich und deine Weisheit denken 😉
Liebe Grüße
Elisabeth Holz
Einen kleinen Tipp zu rechter und linker Stoffseite für Webstoffe kann ich beitragen……in der Webkante befinden sich oftmals kleine Löcher,da werden die Stoffbahnen wohl mit Klammern oder Nadeln im Webstuhl befestigt.Diese Löcher gehen in der Regel immer von rechts nach links…..ist nicht immer so,aber meist kann man sich darauf verlassen.LG
Ute "Schneiderherz"
Oh Selim, lieben Dank für diesen Beitrag! 🙂
In meinen Kursen ist die Wichtigkeit dieser Linie mit das erste, was ich meinen Teilnehmern erkläre. Ich erkläre übrigens auch immer, WARUM der Fadenlauf so wichtig ist, denn ich finde ein stures „Das macht man so“ ist wenig hilfreich.
Dein Beitrag gibt einen schönen Ein-und Überblick über diesen unscheinbaren und doch so wichtigen Pfeil auf dem Schnittmuster. Klasse!
Liebe Grüße
Ute
Eine Anmerkung aber noch- in der 2. Grafik ist der schräge Fadenlauf leider ein schiefer Fadenlauf- da stimmt der Winkel nicht 😉
Ute "Schneiderherz"
Oh weh- glatt Deinen Namen vertüddelt, liebe Selmin. Sorry!
Die Bildersammlerin
Hallo Selmin!
So ein gut ausgearbeiteter informativer Post über den Fadenlauf. Diesen Post habe ich gleich in meinem „Nähordner“ in den Lesezeichen kopiert. Ich danke Dir ganz herzlich für Deine Mühe und für den wirklich gut verständlichen Post über den Fadenlauf, der soooooooooo wichtig ist. Ich spreche aus Erfahrung!!:-))
Ganz liebe Grüße, die Bildersammlerin!
luxundpoppy
Jup, zum Glück war nicht viel neues dabei – die Nähbücher wurde anfangs von mir noch aufmerksam gelesen! Aber es ist toll, dass nochmal so zusammengefasst zu sehen und die Grafiken sind richtig klasse, danke schön!
Claudia / GanzIch
Hallo Selmin,
toller Beitrag; ich mag solche informativen Themen; es bleibt doch immer wieder was hängen. Danke, dass du dir die Mühegemacht hast.
Sonnige Grüße, Claudia
Nicola
Hallo Selmin,
Ich hab mir grünen Stoff gekauft und will daraus einen Faltenrock machen. Der Stoff ist 100% Baumwolle. Leider hab ich grad feststellen müssen, dass der Stoff fast nicht reicht. Es sei denn ich schneide den Rock so aus, dass der Fadenlauf quer verläuft. Soll ich es trotdem so zuschneiden? Es geht, soweit ich weiß, hauptsächlich um die Dehnbarkeit, aber Baumwolle ist ja ohnehin nicht wirklich dehnbar und darauf kommt es bei einem Faltenrock eh nicht an. Ich bin erst 13 und hab vor kurzem das Nähen für mich entdeckt, bin also noch etwas unerfahren 😉
Selmin von Tweed & Greet
Hallo Nicola, wie schön, dass Du das Nähen für Dich entdeckt hast! Also, der Rock wird auf alle Fälle anders fallen und er wird, wenn Du ihn im schrägen Fadenlauf zuschneidest auch dehnbar sein., auch wenn es unelastische Webware ist. Das merkst Du, wenn Du diagonal den Stoff mal auseinanderziehst. Aber ich kenne natürlich den Stoff nicht und auch nicht den Schnitt, den Du nähen möchtest. Deswegen nur eine Ferndiagnose:-)
Kannst Du von dem Stoff nicht noch etwas kaufen? Oder versuchen mit einem Kontraststoff zu arbeiten? Du kannst natürlich auch experimentieren und es im schrägen Verlauf ausprobieren. Dann solltest Du aber beachten, dass der Stoff sich nach dem Nähen noch nach unten ausdehnen kann, wenn Du ihn trägst oder in den Schrank hängst und die Saumlängen unterschiedlich werden. Vor dem Nähen des Saums solltest Du den Rock also über Nacht nochmal aushängen lassen am Kleiderbügel und anschließend musst Du den Saum ggf. korrigieren, so dass er gleichmäßig wird. Und dann erst den Saum nähen. Viel Erfolg bei Deinem Projekt und liebe Grüße, Selmin
Ursula Hurth
Hallo Selmin,
ein schöner und informativer Beitrag, bei dem sogar ich noch was lernen konnte! Das war das mit den Pfeilspitzen. Ich wusste nicht, dass zwei Spitzen bedeuten, dass man den Stoff in unterschiedliche Richtungen legen kann. Danke für die Aufklärung.
Eine Kleinigkeit hat mich als Stricker gestört. Es wird auch bei Strickstoffen, (oder Jersey) öfters von „Webkante“ gesprochen. Das kann aber nicht sein, denn Strick ist nun mal nicht gewebt. Man könnte von Schnittkanten sprechen, denn Strickstoffe werden normalerweise als Schlauch gestrickt und dann aufgeschnitten.
Heidi kauffeld
Hallo liebes Team habe gerade eure Seite gelesen ,mit dem Fadenlauf,so weit alles kapiert…. ich habe einen Hosenschnitt ,da ist kein Fadenlauf eingezeichnet……. nun meine Frage wie kann ich den Fadenlauf bestimmen ,,,, lg Heidi
Selmin von Tweed & Greet
Hallo Heike, der Fadenlauf auf der Hose sollte entlang des Beines gehen, zeichne dir eine senkrechte Linie vom Saum entlang des Beines und lege es so auf den Stoff. Sind denn an den anderen Schnittteilen die fadenläufe eingezeichnet?
Gunda
Hallo Selim,
danke für die schöne Erklärung zum Fadenlauf. Ich bin heute jedoch auf ein Problem bei der Jogginghose für meinen Enkel gestoßen. Ich habe einen aufgerauhten Sweatshirtstoff dafür genommen und auch schön im Fadenlauf die Teile ausgeschnitten. Bei der Fertigstellung ist mir erst aufgefallen, dass dieser Stoff mehr längselastisch als querelastische ist und jetzt zu wenig Bewegungsfreiheit bietet. Wie kann ich solche Probleme zukünftig vermeiden? Muss ich die Breite des Teils vergrößern?
Dankeschön?!
Blanka
Liebe Selmin,
Kannst du mir bitte ein Bild zeigen, wie ich einen langen Rock im Bruch also VT und RT aus dem Stoff schneide? 45 Grad bitte. Der Bund wird „normal“ zum Fadenlauf geschnitten oder?