Wenn ich diese Bilder sehe, möchte ich Euch Sätze entgegen werfen, wie „Endlich durchatmen, wenn die salzige Seeluft mir entgegenweht.“ und „Kraft tanken und den Sand unter den Füßen spüren, bei endlosen Spaziergängen an der englischen Südküste.“. Gespickt mit Lebensweisheiten darüber, wie gut es doch tut, sich – wenn auch nur für eine kleine Weile – von der Welt da draußen abzukapseln, inne zu halten und nur den Anblick des weiten Meeres zu genießen, während der Wind meine Haare zum Tanzen bringt.
Die Wahrheit aber ist, dass ich jedesmal einfach nur grinsen muss, über das Glück, dass ich bei dieser Fotostrecke hatte, so dass meine ganze tiefsinnige Stimmung mit einem Mal den Bach herunterplätschert. Glück, weil die gefürchtete Blasenentzündung, ob der Sand- und Wassertemperatur fernblieb und weil mir das Wetter einfach dieses perfekte Lichtspiel an diesem letzten Tag unseres Sommerurlaubes in Cornwall bot.
Es war, als hätte der britische Wettergott mir zugerufen: „Hey, Selle mein Kind! ZWEI ganze Wochen hattest du Zeit, um dein Kleid zu fotografieren und kommst jetzt erst aus’m Quark?“ „Eh, ich hatte Urlaaaaub!“ „Na komm‘, heut‘ bin ich echt gut drauf. Ich schüttle dir mal ein so ungemütliches Wetter aus dem Ärmel, dass sich keiner an den Strand traut und lieber den ganzen Abend heißen Tee auf der Couch trinkt. Bis auf zwei Hardcore-Angler und drei arme Hundehalterwürstchen, hast Du den ganzen Strand für dich und kannst die barfüßige Frau mit flatterndem weiß-gestreiften Kleid geben. Ich geb‘ dir Wind, ich geb‘ Dir Nebel, ich geb‘ Dir Licht und Schatten. Aber vielleicht wirst Du ein wenig frieren.“ „Pah! Frieren? Moi? Ich hab‘ doch noch im April barfuß im Fluss gestanden und über Fingerhüte gedichtet, bis die Knochen schmerzten! Das bisschen Wind und kalter Sand hauen doch mich nicht um! Los! Gib‘ mir schon die volle Ladung! Uaaaaah! Ist das kalt!“
Das flatternde weiß-gestreifte Kleid, in dem ich die barfüßige Dame am Strand gebe, ist mein Charlie Kaftan von Closet Case Patterns. Das vor mir Herschieben der Fotoaufnahmen passt einfach so gut zu der Entstehung dieses Nähprojekts. Schon als das Kleid im Ankündigungs-Newsletter erschien, war ich schockverliebt und ich hätte ihn am liebsten sofort genäht und getragen. Aber es wollte zeitlich nicht klappen und auch nur der Gedanke daran, das Kleid irgendwie zwischen Tür und Angel auszudrucken und auf Biegen und Brechen fertigzustellen, stresste mich unheimlich. Es sollten zwei Monate vergehen, an denen tolle Designbeispiele an mir vorbeizogen und meine Ungeduld nur noch mehr entfachten. Das Sewing Weekender Nähwochenende in Cambridge gab mir den nötigen Freiraum, um ihn doch noch in Ruhe zu nähen.
Ich hatte dabei ein wenig die innerliche Aufregung bei solchen Events unterschätzt, die einen auch schonmal komische Dinge machen lässt, noch bevor der erste Nadelstich erfolgt. Die Vlieseinlage für den Beleg an den Papierschnitt zu bügeln zum Beispiel. Oder am vorderen Band des Kleides fast zu verzweifeln, weil ich nicht konzentriert genug war, zu verstehen, was die Anleitung eigentlich von mir will. Aber auch hier hatte ich Glück, zwischen all den Damen auch welche mit fertig genähtem Kaftan ausfindig zu machen, die mir mit ihrer Hilfe zur Seite standen. Gut zu wissen, dass sie an dieser Stelle alle irgendwie einen Knoten im Kopf hatten.
Am Ende des zweiten Tages, schlüpfte ich in mein neues Kleid und schwebte stolz durch die Gegend. Es war genau so geworden wie erträumt und anstatt alleine und vielleicht sogar gehetzt zu Hause vor mich hinzurattern, hatte ich netteste Gesellschaft, neue Nähbekanntschaften und Kekse.
Als hätte Elena von Randomly Happy meine Gedanken erraten, hielt sie an diesem Wochenende auch noch einen wunderbar inspirierenden Vortrag über „Achtsamkeit beim Nähen“, der seit letzter Woche auch auf ihrem Blog zu lesen ist. Ja, ich erkannte mich darin mehr als einmal wieder. Manchmal konzentriere ich mich so ungeduldig auf das Endresultat meines Nähprojektes, dass mich der lange Weg dorthin stresst und ich ihn nicht mehr zu schätzen weiß. Dabei ist es gerade dieser Weg – das Zuschneiden, das Vorbereiten von Belegen und Kleinteilen, die Detailarbeiten wie Abnäher oder Steppnähte, die mich aus meinem Alltag herausnehmen und meine Gedanken bewusst auf den Moment und das Projekt in meiner Hand richten.
Und auch wenn das weite Meer und die salzige Seeluft nicht immer vor unserer Haustür sind, um uns ans tiefe Einatmen zu erinnern und kein Wind unsere Haare am Schreibtisch zum Tanzen bringt: Zwischen all dem Trubel im Alltag und den selbst auferlegten Todo-Listen, lohnt es sich halt doch, in sich zu horchen, tief Luft zu holen und den richtigen Moment für sein Vorhaben abzuwarten – auch dann, wenn’s nur das Nähen eines Kaftans ist.
Hello.
Kleid
Schnitt: Charlie Kaftan von Closet Case Patterns
Stoff: C.PAULI Bio-Baumwoll Popeline gekauft bei der Eulenmeisterei Biostoffe
Ute
Liebe Selmin, dein Kleid ist wunderschön und die Fotos erst! Ich bin begeistert. Das mit der drohenden Blasenentzündung im und am Meer kenne ich übrigens auch.. letztens musste ich mit dicken gestrickten Socken am Strand sitzen 😀 Viele Grüße!
Selmin von Tweed & Greet
Hihi, oh jee Du Ärmste! Zumindest konnten die selbstgestrickten Socken so auch ein bisschen Meerluft einatmen:-D
Vielen lieben Dank und liebste Grüße,
Selmin
Julia
Hallo Selmin,
sobald ich auf einem Foto Meer sehe, kommt bei mir auch ein Seufzer aus tiefsten Herzen. Wie konnte ich nur in die Mitte von Deutschland ziehen? Ach ja, der Liebe wegen…. Dein Kleid steht Dir klasse. Ich habe mich in Deinem Beitrag auch wieder gefunden. Diese Ungeduld beim Nähen ist nicht immer förderlich. Ich vergesse oft, dass das eigentliche nähen nur ein Teil des Entstehungsprozesses ist. Die Zeit für Schnittmuster kleben/kopieren, ausschneiden, Zuschneiden sind alles wichtige Schritte. Gut das Du es nochmal erwähnt hast.
Liebe Grüße,
Julia
ganzmeinding
Liebe Selmin, richtig toll, dein Charlie! Witzig, ich habe meinen heute auch gepostet. Und meiner ist auch während eines Nähbloggertreffens entstanden, bei dem ich manchmal auch Schwierigkeiten hatte, mich zu konzentrieren. Wir haben einfach zu viel gequatscht… Und ohne Konzentration kommt man bei diesem Schnitt ja nicht weit. In der Regel mag ich ja auch Schnitte gerne, die ruckzuck umgesetzt sind, aber so ab und zu ist auch mal ein aufwändiges und herausforderndes Stück toll. Liebe Grüße von Claudia
Tabea
Der Stoff war ja schon bei deinem letzten Werk wundervoll anzusehen – aber als Kleid gefällt er mir sogar noch besser. Und in der Kulisse ist das ganze Kleidungsstück sowieso gut aufgehoben 😉
Wasser wirkt auf mich auch immer total positiv – es muss nicht mal das Meer sein, denn ein großer Fluss oder ein See tun es auch. Ans Wasser zu fahren ist für mich einfach so ein „Ich gönne mir eine Auszeit“-Ding. Leider habe ich dafür diese Jahr noch keinen passenden Moment gefunden und ich frage mich, ob ich das überhaupt noch schaffen werde. Ach warte, doch ich war kurz an der Elbe, habe gefroren und das Wetter war trüb, sodass die Fotos alle doof aussahen.
Super, dass dich die Blasenentzündung nicht erwischt hat und das Licht toll war – an das krank werden vom barfuß laufen denke ich eigentlich nie 😉 Aber wohl auch nur, weil ich bisher nie eine Blasenentzündung erlitten habe.
Bei dir hat sich das Frieren aber total gelohnt – ich liebe deine Fotos und du wirkst wunderbar glücklich.
Achtsamkeit beim Nähen ist etwas, worüber ich mir bisher nie einen Kopf machte… aber das werde ich mir nun gern mal durchlesen! Danke für die Empfehlung.
Liebe Grüße
Annika
Unglaublich schön! Ich mag ja eigentlich immer, was du so für dich zauberst! Aber das hier ist für mich das Tollste ever. Und die Bilder sind ein wahrer Traum!
Anja
Wunderschön, steht dir ganz toll. An sich mag ich Maximode nicht, aber dieser Schnitt ist irgendwie ausgewogen. Interessant, dass C.Pauli Stoffe herstellt, ich kannte bisher nur so einen kleinen Laden mit Kindermode bei mir um die Ecke, der C.Pauli Kindersachen und Stoff heißt, bin aber nie reingegangen, weil das Schaufenster einfach zu babymäßig wirkt. Werde auf einer meiner nächsten Gassirunden mal reinschnuppern. Weiterhin viel Spaß in GB, lg Anja
blaupause7
sind aber auch tolle bilder geworden – chapeau!
undiversell
Einfach toll deine Bilder, liebe Selmin! Steht dir so fantastisch, dein Kaftan! Perfekt in Szene gesetzt und deine Urlaubsentspanntheit strahlt aus jedem Schnappschuss. Ich kenne auch diese Ungeduld beim Nähen, beim Häkeln und Stricken bin ich eher im Flow. Als Gegenmittel nehme ich mir bewusst nur Teilschritte vor, z.B. nur das Zuschneiden. Danke für deine Gedanken. LG Undine
Caroline
Liebe Selmin,
du hast ja so recht! Alles hat seine Zeit, seien es die perfekten Fotos eines wunderschönen Kleides am Strand zu schießen oder ein lang ersehntes Schnittmuster in Angriff zu nehmen! Aber wenn man sich diese Zeit lässt, wird das Nähprojekt perfekt 🙂 Dein Kaftan-Kleid gefällt mir sehr, deine Fotos ebenfalls. Aber was gibt es auch Schöneres als das Meer? 🙂
Liebe Grüße
Caroline
Ani Lorak
Schöne Bilder und das Kleid mag ich gerne. Ja, das Gefühl mich zu stressen kenne ich sehr gut. Besonders donnerstags am frühen Abend bevor es zum Nähkurs geht und ich nichts vorbereitet habe, was dann zu panikartigen Stress führt. Schrecklich!
Anke
liebe Selmin,
ich liebe Nähen und ich liebe Südengland. Ein Nähwochenende in Cambridge klingt sehr verlockend, wann und wie oft finden denn solche WEn statt?
danke und liebe Grüße
Anke
Selmin von Tweed & Greet
Liebe Anke, es hat auch echt Spaß gemacht. Das Wochenende findet einmal im Jahr statt. Liebe Grüße, Selmin
Christine
Hihi, vor allem Kekse 😀
Die Bilder sind so toll. Und Du siehst super entspannt aus. Hach, Urlaub.
Liebe Grüße
Christine
Selmin von Tweed & Greet
??? Aber nur einen, wirklich??
Alex
I don’t speak German so can’t possibly do more than admire the imagery, but I absolutely love this make!