2019 hatte zum Glück viele schöne Zeiten für mich parat. Auch wenn es zwischendurch schon ein ruppiges Jahr war, gab es immer wieder Momente, aus denen ich viel Freude mitnehmen konnte. Einer dieser Momente war die Nähauszeit, die ich mir mit meiner Freundin Laura auf meiner Lieblingsinsel Langeoog genommen habe.
Nachdem wir zunächst ein paar gemeinsame Tage mit unseren Männern verbrachten, wurde danach aus der Ferienwohnung für fünf ganze Tage ein Nähatelier nur für uns zwei: Wir bauten unsere Nähmaschinen auf, zückten unsere mitgebrachten Projekte und ließen die Maschinen rattern. Klar, dass es zwischendurch auch viele Plauderepisoden, Kochpausen und Strandspaziergänge gab. Es war eine erholsame Woche, an die ich mich gern zurückerinnere.
Und oh ja, auch an mein (einziges) Nähprojekt erinnere ich mich zurück – und daran, dass es das erste Projekt wird, an dem ich dieses Jahr wohl noch ein paar Änderungen durchführen muss, damit ich es gern trage. Ähem. Der Nähvorgang entwickelte sich nämlich frei nach dem Prinzip: „Alles was in die Hose gehen kann, wird in die Hose gehen.“ Ich bin ganz froh, dass es eine Zeugin gab, die bei der Entstehung dieser Hose dabei war, sonst käme vielleicht noch jemand auf die Idee, ich würde mir diese Geschichten immer nur ausdenken. „Was stimmt nur nicht mit dieser Hose?!“ Diesen Satz sollte Laura an diesen fünf Tagen noch ein paar Mal sagen.
Bereits im Sommer hatte ich mich in London in einem Laden in eine Hose verliebt, sie aber zurückgelassen, weil ich mir eine ähnliche Hose selbst nähen wollte. Im Rückblick betrachtet begann das Drama also bereits dort, ich hätte sie vielleicht einfach kaufen sollen. Aber was wusste ich schon. Die Hose im Laden war eine hochtaillierte Chinohose mit karottenförmig geschnittenen Beinen aus einem sehr satten rostroten Twill mit angenehm schwerer Denimqualität. Genau so sollte die genähte Hose dann auch aussehen.
Auf der Suche nach einem sehr ähnlichen rostroten Stoff aktivierte ich die Instagram-Community. Und wurde mit vielen Tipps für roten festen Twillstoff belohnt. Also bestellte ich diesen qualitativ wirklich tollen Twill mit leichtem Stretchanteil bei Meter Meter DK. Dass der Stoff einen Ticken mehr ins Orange ging als eigentlich gesucht, fand ich im Grunde nicht schlimm. Er würde trotzdem zum ausgesuchten Hosenschnitt passen. Das Schnittmuster für die Heroine Jeans von Merchant and Mills lag hier schon eine ganze Weile und sollte nun mit dem Stoff zu dieser hochtaillierten Chino-Hose mit karottenförmigen Beinen aus meinen Träumen verheiratet werden.
Nur, dass das Schnittmuster der Heroine Jeans eigentlich gar keine Karottenform hat. Interessanterweise ignorierte ich genau diesen wichtigen Fakt. Dabei hatte ich vor Ort in Rye bereits ein Designbeispiel der Hose anprobiert. Ich hatte aber so eine eingebrannte Vorstellung von dieser fertigen Hose in meinem Kopf, dass ich überhaupt nicht darauf achtete, dass die Hose eigentlich gerade geschnittene Beine hatte. Auch dass auf dem Schnittmuster schwarz auf weiß „Straight leg“ stand, ignorierte ich. Genauso wie die Tatsache, dass man auch schon beim Zuschnitt und Nähen sehen konnte, dass die Hosenbeine einfach mal schnurgerade waren. Da war nix mit Karottenform. Trotzdem nähte ich weiter, mit der Überzeugung, ich würde mir eine Hose in Karottenform nähen. Auch nach der ersten Anprobe, machte ich mir keine Gedanken, dass die Beine gerade und nicht karottenförmig waren. What was I thinking? Ich dachte einfach nicht, ich gab mich meiner Traumvorstellung von Karottenhose hin.
Nachdem meine Hose fertig war, mit fertig abgesteppten Beininnennähten und allem anderen schicken Gedöns dämmerte mir so langsam, dass sie gar nicht so geworden war, wie sie in meiner Vorstellung aussah. Irgendetwas störte. Der Schritt hing möglicherweise etwas zu tief – und die Beine? Die Beine! Sie waren schnurgerade und liefen einfach langweilig gerade runter. Die Kombination zusammen mit dem orange-roten Stoff erinnerte mich an eine Hose, die ich in den 90er Jahren mit 15 oder 16 mal hatte. Die ich heute aber so garantiert nicht mehr tragen würde. Das war der erste Streich.
Fast hätte es die Hose nämlich gar nicht erst an meine Beine geschafft. Weil mir nämlich schon beim Versäubern der Hosenbeine vor dem Zusammennähen, die Schrittkurve des einen hinteren Beins schwungvoll ins Messer der Overlockmaschine geriet. Ich rasierte die Ecke der Schrittkurve quasi komplett ab. Es war ein so verstörender Anblick, dass wir vor Schreck ersteinmal geschockt auf das abgeschnittene Stück starrten und dann in hysterisches Lachen übergingen. Glücklicherweise konnte ich den Zipfel am Ende beim Nähen so zurechtstecken, dass die eine abrasierte Seite nicht mehr auffiel. Streich Nummer 2.
Es wäre langweilig, wenn die Hose nicht noch ein drittes Highlight parat hätte: Beim finalen Absteppen der Hose hatte ich Dank meines äußerst ausgeprägten Perfektionismus bereits so viele vermeintlich schiefe Steppnähte aufgetrennt, dass sich die Spule für das Steppgarn in den letzten Metern leerte. Was war nur mit dieser Hose! Mir blieb nichts Anderes übrig, als das andere Steppgarn zu nutzen, das ich dabei hatte. Das hatte allerdings einen komplett anderen Orangestich. So nähte ich die Hose fertig, sie bekam ab der Hälfte des Hosenbundes zusammen mit den Gürtelschlaufen halt einen Steppstich in einer anderen Farbnuance. Wer will da bei einer Karottenhose mit geraden Beinen aber auch so genau sein.
Am Ende wurde die Hose trag- und auch mit vielen Sachen aus meinem Schrank kombinierbar, trotz der auffälligen Farbe. Und natürlich habe ich sie auch schon mehrmals getragen. Und wenn ich die Augen schloss oder nicht an mir herunterschaute, gab ich mich auch einfach dem Gefühl hin, eine Karottenhose zu tragen. Dann riss eine Gürtelschlaufe und die Hose landete auf dem Änderungsstapel. Jetzt wartet sie darauf, eine Karottenjeans zu werden.
Es wird also noch eine Fortsetzung hier geben mit dieser Hose. Und hoffentlich auch mit unserem Nähwochenende. Denn wie sagt man doch so schön, Pech mit der Hose, Glück auf der Insel.
Ihr Hasen, ich wünsche Euch einen wunderbaren Tag!
Liebste Grüße,
Eure Selmin
Nria
Die Hose ist toll geworden! Ich persönlich finde sie ja viel besser so, weil ich Karottenhosen so gar nicht mag 😀
(mir ist das mit der kompletten Betriebsblindheit auch mal so ergangen … ich hatte diesen einen Stoff, habe ihn immer wieder gestreichelt, einmal gewaschen und aufgehängt, diverse Male ausgemessen, nach Schnittmustern gesucht … und dann fiel mir ungefähr ein Dreivierteljahr nach dem Kauf auf, dass es gar kein Jersey, sondern Sommersweat war. Zu dem Zeitpunkt hatte ich den Stoff schon mindestens 15x in der Hand gehabt …)
Selmin von Tweed & Greet
Hahaha, das kenn ich auch, dass ich mir einbilde, dass der Stoff eine bestimmte Eigenschaft hat, was am Ende gar nicht stimmt:-)
Sandra
Ich bin hier nur am Lachen 🙂
Herrlich. Manchmal ignoriert man die simpelsten Dinge.
Ich wollte mal schnell eine ganz neue, nicht ganz günstige Leinenhose kürzen. Zu dem Zeitpunkt war ich schon seit längerem unter den Näherinnen.
Gemessen, geschnitten … blöd geguckt … ich Spezie hatte die Nahtzugabe vergessen. Und eine zu kurze Hose ist einfach Mist.
Das ist mir nie wieder passiert. Man lernt am besten, wenn man was versemmelt 🙂
Deine Hose ist übrigens wirklich toll so wie sie ist!
Grüße aus KL
Sandra
Selmin von Tweed & Greet
Oh mann, das hätte mir auch passieren können. Aber zum Glück ist Hochwasser ja auch schick im Sommer:-D Ganz liebe Grüße, Selmin
Luciliene
Hallo Selmin,
Was mich mal interessieren würde: wie bekommt Ihr das ganze Nähequipment auf die Insel? Mit der Fähre im Handgepäck und dann mit der Inselbahn? Das stelle ich mir fast unmöglich vor…
Liebe Grüße,
Luciliene
Selmin von Tweed & Greet
Liebe Luciliene, berechtigte Frage:-) Man kann die Sachen gut verpackt (bis 30 kg) am Hafen aufgeben und sich mit dem Gepäckdienst sogar bis vor die Haustüre liefern lassen. Kostet allerdings etwas mehr. Liebe Grüße, Selmin
Frau Leo
Liebe Selmin,
Beruhigend, dass auch andere solche Projekte haben, bei denen erst mal alles schief geht. Und das mit dem Ignorieren der geraden Beine hätte ich fertig bekommen. Ich freue mich schon auf Bilder von der Hose, wenn sie dann „karottiger“ geworden ist.
Liebe Grüße, Andrea
Selmin von Tweed & Greet
Tihihi, ich werde berichten:-)
Anonymous
das ist ja lustig, dass du mit Laura befreundet bist. Ich hoffe ja immer noch, dass ich irgendwann mal heirate einfach nur, damit ich bei Laura mein Hochzeitskleid bestellen kann, in das ich mich vor Jahren verliebt habe. Auch wenn sie einfach mit ihrem Laden, dessen Schaufenster ich so liebte, in einen von mir weit entfernten Stadtteil gezogen ist 🙂
Da ich auch kein Anhänger von Karottenjeans bin, gratuliere ich dir hiermit zur Betriebsblindheit 😉 Dein Artikel war auf jeden Fall sehr sehr lustig zu lesen.
Lieber Gruß
dörte
Selmin von Tweed & Greet
Hahaha, insgeheim würde ich gern noch einmal heiraten, um bei Laura ein Hochzeitskleid zu bestellen:-) Ich freue mich, dass Dir mein Blogpost gefallen hat:-) liebe Grüße, Selmin
Katja
Ist doch eine Karottenhose geworden! Eine Hose in der Farbe von Karotte!
Danke für den Beitrag! Immer wieder so schön zu lesen.
Selmin von Tweed & Greet
Tihihi, wenn man es so betrachtet:-)
Frau Leo
Viel Glück mit den Änderungen!
Das mit den Nähen wider besseren Wissen kenne ich sehr gut 😉
LG,
Andrea
Plotterin
Hallo liebe Selmin,
ich finde die Hose mega schön und sie steht dir unglaublich gut! Haha ich würde ja gerne die beiden unterschiedlichen Steppnähte sehen 🙂 Vielleicht traue ich mich bald auch mal eine eigene Hose zu nähen. Vielen Dank für deinen wundervollen Blog und ganz viele liebe Grüße!