Obwohl ich eher der Typ „Ich mach‘ einfach mal und dann seh‘ ich weiter“ bin, kann ich manches Vorhaben in meinem Kopf so sehr verkomplizieren, dass es auch schon mal ein bis zwei Jährchen dauert, bis ich mich endlich heranwage. Irgendwann kommt dann doch zum Glück dieser „Was soll’s ich mach‘ das jetzt“-Moment, an dem ich plötzlich alle Bedenken und Ausreden fallen lasse und vor dem Schleifmaschinenregal im Baumarkt stehe. Ich höre mich, wie ich dem Baumarktberater im orangefarbenen Hemd, von dem dunkel lackierten antiken Nähtisch erzähle, auf dem ich zu Hause nähe: „Ein altes Erbstück, wissen Sie“. Dass ich ihn nach zwei Jahren endlich umlackieren möchte, weil die dunkle Farbe üüüberhaupt nicht zu mir passt. Dass ich mich zum Thema Möbellackieren zwar ein Bisschen eingelesen, sonst aber keine Ahnung habe: „Kann ich den Tisch eigentlich auch mit einem Heißluftfön entlackieren? Ich hab‘ dazu was in einer Facebookgruppe gelesen.“
Auf seine Frage hin, ob der Tisch gebeizt sei, antworte ich mit „Ich glaub‘ schon“. Ich habe keine Ahnung. Er erklärt mir, dass Beize sehr tief in das Holz eindringt und ich dafür viel vom Holz abschleifen muss. Außerdem erklärt er mir, dass ich insgesamt drei Schleifvorgänge durchführen muss, eine Runde mit grobem, eine Runde mit weniger grobem und zum Schluss mit feinem Schleifpapier. „Aha“ sage ich. „Stimmt es, dass ich bei Lackiervorhaben mit Kreidelack wirklich weder schleifen muss, noch eine Grundierung brauche? Er schüttelt den Kopf. Am Ende des Beratungsgesprächs drückt er mir eine Schwingschleifmaschine in die Hand, drei unterschiedlich grobe Schleifpapiere und eine Schutzmaske, wegen des möglicherweise entstehenden giftigen Staubs. Außerdem kaufe ich Grundierungslack, Kreidefarben von Rust Oleum in den Tönen Eukalyptus und Graphit und klaren Schutzlack. Diverse Pinsel, Schutzplanen und Kreppband und den umweltfreundlichsten Pinselreiniger, den ich finden kann. Auf der Rückfahrt vom Baumarkt frage ich mich, ob so ein Schwingschleifer eigentlich laut ist. Ich hab‘ den vollen Durchblick.
Am nächsten Morgen sitze ich 7:00h auf dem Boden vor dem Nähtisch. Ich werde ihn noch zwei weitere Stunden betrachten. Außerdem werde ich ein Instagram Foto dazu hochladen. Und auch ein paar Youtube Videos zum Thema Schleifen anschauen, denn ich hab‘ das noch nie gemacht und ich hab‘ schon wieder ein Bisschen Angst davor, den schönen Nähtisch kaputt zu machen. Halt! Ich finde ihn doch gar nicht wirklich schön! Die Farbe nervt mich schon so lange! Er kann doch eigentlich nur schöner werden. Und „kaputt“ mache ich ihn ganz sicherlich nicht. So, genug! Ich lege los.
Auf dem Balkon lege ich Planen aus, um den Staub abzufangen, lege Schleifmaschine, Schleifpapier und Maske zurecht. Ich schraube den Tisch Stück für Stück auseinander und bin nun mittendrin in meinem Projekt. Jetzt gibt’s kein Zurück. Beim Entfernen der Tischklappe tritt die alte Nähmaschine zum Vorschein, die sich die ganze Zeit im Nähtisch versteckt hat. Eine Verschwendung, sie hier drin verstauben zu lassen. Ich werde sie separat vom Tisch aufbewahren.
Beim Schleifvorgang bin ich so konzentriert, dass ich vergesse, Fotos davon zu machen. Außerdem ist es bereits 11:00h, meine neue Schleifmaschine ist ziemlich laut und als vorbildliche Nachbarin möchte bis zur gesetzlichen Ruhezeit um 13h mit dem ersten Schleifdurchgang an allen Tischteilen fertig sein. Ich glaube übrigens, mein Tisch ist gebeizt. Ich schleife und schleife, und die dunkle Farbe ändert sich kaum. Ich beschließe, dass meine abgeschliffene Schicht für den Kreidelack, der laut Packungsanleitung kein Schleifen erfordert, völlig ausreicht. Die Ruhepause nutze ich dazu, um die alte Nähmaschine zu säubern und ihr ein schönes Plätzchen in meinem Zimmer zu suchen.
Danach geht es weiter mit den Schleifdurchgängen zwei und drei. Am Ende hab‘ ich Rücken, und Schmerzen in den Händen. Aber ich habe meinen Tisch fertig angeschliffen! Yeah! Ich entfernte die Staubreste vom den Platten mit einem feuchten Lappen und legte sie zum Lackieren am nächsten Tag zurecht.
Beim Auftragen des Grundlacks erschrecke ich zunächst, weil die weiße Grundierungsfarbe sehr unregelmäßig auf dem Holz aussieht. Der Kreidelack, den ich auf die getrocknete Grundfarbe streiche, wird aber dafür sehr regelmäßig. Davon benötigte ich dann auch nur eine Schicht. Im Anschluss streiche ich mit dem Klarlack drüber, das macht die Farbe noch etwas dunkler und gibt der Oberfläche einen leichten Glanz.
Den gusseisernen Teil des Nähtisches überstreiche ich direkt mit dem grauen Lack, ohne die Grundierung zu nutzen. Auch das deckt direkt gut. Durch das Auftragen des Klarlackes geht das graphitgrau schon fast in schwarz über, und beim Eisen finde ich dieses Ergebnis besonders schön.
Ich lasse alles trocknen und setze den Tisch am Ende wieder zusammen. Da sich die alte Nähmaschine nun nicht mehr im Nähtisch befindet, ist die Klappe des Nähtisches in der Mitte nicht mehr sehr stabil. Ich stabilisiere sie von unten mit Verbindungsplättchen aus dem Baumarkt, damit sowohl meine Overlock als auch die Nähmaschine weiterhin sicher darauf stehen können.
Insgesamt dauert das Projekt inklusive Trocknungszeiten drei Tage. Ich weiß nicht, ob ich durch das Lackieren mit Kreidefarbe wirklich auf Schleifen und Grundieren hätte verzichten können. Hat das jemand von euch schon mal gemacht? Auf jeden Fall sei gesagt: Ein Nähtischmakeover ist keine schnelle Nachmittagsbeschäftigung. Es erfordert Zeit und Konzentration. Aber am Ende bin ich mega happy. Ich liebe mein neues, einzigartiges Möbelstück. Endlich bin ich über meinen Schatten gesprungen und hab‘ mich an dieses Projekt gewagt. Darauf bin ich am allermeisten stolz!
Deswegen ist hier heute auch mein wichtigster Tipp, wenn euch ein ähnliches Projekt im Kopf herumspukt und ihr einfach nicht aus den Puschen kommt: Stoppt die Ausreden und das Einlesen und das ewige Informationen sammeln! Stundenlanges pinnen auf Pinterest macht zwar auch unheimlich Spaß, fertig wird solch‘ ein Projekt dadurch aber nicht. Markiert euch einen Platz im Terminkalender und fangt an! Nur so wird eure Idee zur Wirklichkeit.
Naa? Wer plant denn auch schon seit langem mal solch ein Projekt und hat sich noch nicht rangetraut? Hmm?? Hier kommt eine Riesenportion Motivation! Go for it!
Ihr Lieben, ich wünsche euch noch eine schöne Restwoche und sende euch liebste Grüße aus Istanbul!
Eure Selmin
jennifer-heart
Super Ergebnis! ? Mich würde interessieren, wie gut der Lack bzw. die Kreidefarbe hält. Ich will seit Jahren die Küchenfronten damit lackieren, schiebe es aber vor mir her, weil ich befürchte, dass die viele Arbeit sich nicht lohnt, da die Farbe „abblättert“ oder durch Stöße etc. Kratzer bekommt. Ich wäre also für einen Bericht in einem Jahr sehr dankbar. ?
Jennifer Weller
So schön und passt perfekt zu dir und deinem Nähzimmer! Ich kann ein Lied davon singen. Ich hab schon allerhand umlackiert, unter anderem eine Gitarre. Ein Hoch auf das Schleifgerät.
Ich kenne das mit dem ewig überlegen. Eigentlich bin ich wie du eine Frau der Tat, aber manchmal gibt es da so viele Farbvarianten zu bedenken. Hach. Ich hab vor zwei Wochen ein Nähkästchen aus dem Sperrmüll gerettet. An sich in top Zustand, nur der Lack blättert stellenweise ab. Meine erste Idee war es, jede der drei „Etagen“ in einer anderen Retro-Pastellfarbe zu lackieren, z.B. mint, gelb und rosa. Auf der anderen Seite bin ich ja viel mehr Freundin von kräftigen Farben. Oder von Ombre. So many choices, so little Nähkästchen.
verzwicktundzugenaeht.blogspot.com
Hast Du sehr schön hinbekommen.Die Arbeit hat sich gelohnt. Ganz ähnlich ging es mir mit einem alten Regal,welches ich einfach nicht entsorgen wollte.Hatte das Gefühl das Schleifen nützt nix und habe dann an einer unabgeschliffenen Stelle einfach mal Farbe aufgetragen.So ist ungewollt ein Vintagelock entstanden und meine Freundin konnte nicht glauben ,dass das mein altes Regal war.Also in diesem Fall hätte ich mir den Schleifgang echt sparen können.
Herzliche Grüße Iris
schurrmurr
Hallo…die alte Nöhmaschine sah auch toll aus…passt natürlich nicht so zur Einrichtung…ist aber sehr schön geworden…Glückwinsch.
Sah kürzlich bei undiversell.wordpress.com dass sie mit Kreidefarbe einen Tisch aufgearbeitet hat.
LG schurrmurr
ani Lorak
Ja – machen – einfach machen. Auch ich bin verkopft und überlegen und irgendwann -manchmal – schmeiße ich meine Bedenken über Bord und mache. Schön ist es geworden und ja – was hattest Du zu verlieren, wenn es Dir im „alten“ Zustand nicht gefällt. Oft kann man retten und improvisieren – nur selten wird es totaler Murks! Wunderschöne Farben – gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit. Schöne Zeit in Istanbul
amely.pfauenauge
Hallo Selmin, mir gefällt das Nähtischchen sowohl im alten als auch im neuen Zustand gut! Aber klar, in diesen hellen Tönen passt es natürlich besser in dein Nähzimmer. Ich habe heute erst mein altes, grün lackiertes Nähkästchen zum Schreiner gebracht. Aber er will es nicht abbeizen. Selber trau ich mich nicht ran… Mal sehen, was ich damit mache.
LG Amely
Anne
Ui! Wirklich eine Verbesserung! Ich hab da so ´nen alten DDR-Schrank im Wohnzimmer rumstehen. Wirklich nicht hübsch, aber wir haben auch kein Geld für einen neuen. Da überleg ich auch schon seit Ewigkeiten hin und her, wie ich den etwas aufhübschen kann.
Ute Tripke
Hallo Selmin,
ich finde, der Nähmaschinentisch ist echt schick geworden! Bombe. Ich bin vor einiger Zeit über einen Blog (Creativelive) auf „Annie Sloan-Chalk-Paint“ gekommen. Klar habe ich auch erstmal gegoogelt was das Zeug hält – statt anzufangen. Dann aber habe ich es tatsächlich probiert – erst einen Hocker vom Sperrmüll – war grün gestrichen – hab‘ ich mit Kreidefarbe (ohne schleiben) in altweiß angestrichen – 2 mal hat gereicht. Dann kam der große alte Schreibtisch dran – hat auch prima funktioniert. Hier habe ich alle Flächen 2 x gestrichen – anschließend mit Wachs endbehandelt – die Platte allerdings mit Klarlack in matt. Der Schreibtisch ist jetzt mein Nähtisch und da wird auch schonmal die NähMa hin und hergeschoben – das hält die Platte gut aus.
Das letzte Projekt war ein Türrahmen – auch hier ganz ohne Schleifen – geht wirklich!
LG
Ute
fairylikes
Ich lach mich schlapp – Du hast Dir wirklich einen Schwingschleifer gekauft? Das finde ich super! Das ist einer der Top-Spontankäufe 🙂 Aber das Ergebnis ist wirklich toll geworden… Liebste Grüße, Fee