Seit Sommer 2016 zierte diese Keramikvase unsere Wohnung, mein Nähzimmer und meine Blogposts. Ich liebte sie auf Anhieb, als ich sie in einem kleinen walisischen Künstleratelier entdeckte. Zwei Jahre später fiel sie um. Auf eine Art und Weise, wie sie nur mir umfallen kann.
Es hatte sich spontan Besuch angekündigt. Kein lockerer Wohlfühlbesuch, der zu jeder Zeit kommen kann. Es war ein Termin, bei dem man vorher doch lieber etwas Ordnung in die Wohnung bringt. Nach einer schnellen Aufräumaktion hatte ich keine Lust, blieb keine Zeit mehr, die muffigen welken Blumen im Wohnzimmer noch sorgfältig zu entsorgen. So verfrachtete ich sie samt ihrer Vase (DER Vase) kurzerhand nach draußen auf die Terrasse, auf den Esstisch. Es war Februar und es war windig. Und eventuell stand die Vase etwas zu weit am Tischrand. Dann kam der Besuch. Wir unterhielten uns gerade angeregt, als von der Terrasse ein Scheppergeräusch kam. Oh Mist.
Ich rannte raus, kam mit einem Pokerface und den Scherben meiner Lieblingsvase zurück. „Oh! Hä? Warum war die denn da draußen?“, fragte mein Mann. „Der Wind hat sie wohl umgeworfen. Möchte jemand Tee?“
Ich gehörte noch nie zu den Menschen, die lange einem kaputten Gegenstand hinterhertrauern. Entweder ich nutze die Teile nach dem ersten Schreck im unperfekten Zustand weiter oder ich behalte sie so lange, bis ich sie reparieren kann. Damit habe ich schon als Kind meine Mutter zur Weißglut getrieben. Lange Zeit hieß es, ich wäre gleichgültig und würde die Dinge nicht wertschätzen. Und viele Jahre hatte ich bei Dingen, die mir kaputt gingen, viel mehr Sorge um die Reaktion meiner Mitmenschen, als Trauer um das kaputte Stück. Ich neige einfach zu sehr zur Tollpatschigkeit, um jedem kaputten Gegenstand lange hinterherzutrauern. Mit fehlender Wertschätzung hat das allerdings wenig zu tun. Ganz im Gegenteil, alle kaputten oder zerbrochenen Dinge haben für mich eine Geschichte. Und wenn sie weitergenutzt oder repariert werden können, verschwindet diese Geschichte nicht, sie bleibt einfach ein Teil von Ihnen. Ich kann diese Geschichte einfach ganz schnell akzeptieren und mich mit ihr anfreunden.
Und vielleicht bin ich daher neben der Sashiko Technik so ein Fan der japanischen Kintsugi Methode. Das ist eine aus dem 15. Jahrhundert stammende traditionelle japanische Technik, die den reparierten Objekten eine neue Ästhetik einhaucht und damit die Bedeutung dieser zugehörigen Geschichte hervorhebt. Dafür wird von Kintsugi Meistern in einem sehr langen Verfahren per Hand ein japanischer Lack, urushi, dem Gold oder Silber-Pigmente beigemischt sind, in mehreren Schichten aufgetragen. Die einzelnen zerbrochenen Teile werden damit zusammengefügt und ergänzen sich zu einem neuen Ganzen. Das neue Objekt glänzt in einer neuen Schönheit, samt seiner Geschichte.
Für mich ist das eine wunderschöne Vorstellung. Diese Methode stammt von der japanischen Wabi-Sabi Philosophie ab. Sie sieht im Vergänglichen, Alten oder Fehlerhaften gleichzeitig auch die Schönheit, die sie mit sich trägt. Das bedeutet in diesem Fall, dass ein zerbrochenes und repariertes Objekt nicht weniger Wert ist als ein neues. Im Gegenteil, durch diese aufwendige Reparatur erreicht sie ein viel wertvolleres Stadium. Als ich das erste Mal vor ein paar Jahren von dieser Philosophie las, fühlte ich mich in vielen Gedanken sehr verstanden. Nachdem also der erste Schreck über die Scherben der Vase verklungen war, spukte mir noch am gleichen Abend Kintsugi im Kopf herum. Ich ernannte mich in den nächsten Tagen zur höchstpersönlichen Kintsugi-Meisterin meiner Vase. Es erschien mir wie eine Fügung, dass ich eine Tube Porzellankleber zu Hause hatte und von einem anderen Projekt sogar noch Relief Paste mit Gold Metallic Effekt für Glas und Porzellan.
Meine Karriere als Kintsugi-Meisterin entwickelte sich wie folgt: Ich klebte meine Vase mit einem Porzellankleber zusammen, der mich fast zum Wahnsinn brachte. Das hartnäckige weiße Zeug hinterließ überall an der Vase weiße Rückstände, quoll zielstrebig durch meine sorgfältig zusammengedrückten Porzellan-Nähte und ließ sich weder mit Wasser noch Spülmittel wieder entfernen. Auch nicht von meinen Händen. Erst als ich dem ganzen mit einer halben Flasche Nagellackentferner zu Leibe rückte, konnte ich die Vase nach und nach von den weißen Flecken befreien. Ob Kintsugi-Meister in ihrer Werkstatt auch fluchen? Statt meditativer Ruhe und Hingabe versprühte ich reinste Best-of-Loui-de-Funes-Energie.
Die Reliefpaste wurde dann mit der spitzen Öffnung der Tube vorsichtig auf die Nähte aufgebracht. Auch beim Auftragen ärgerte ich mich über meine unruhigen Hände und Wackler und Unregelmäßigkeiten auf den Linien.
Eine Kintsugi-Meisterin wurde aus mir am Ende nicht, noch nicht mal ein durchgefallener Lehrling, aber meine Vase war zusammengeklebt und sogar dicht!
Und ich mag meine alte neue Vase mit ihren unregelmäßigen Goldlinien. Ich mag das Gold zusammen mit den blauen Streifen. Und ich mag, dass sie sich wieder schön in meine blaue Vasensammlung alter Flohmarktstücke einreiht. Zusammen mit meinen gestreiften Erstlingswerken aus einem Keramikkurs im letzten Jahr, für die ebenfalls diese Vase als Muse diente. Ich mag’s, dass sie alle mit ihren unterschiedlichen Geschichten unser Wohnzimmer zieren. Und vor allem mag ich, das in die reparierten Nähte meiner Lieblingsvase nun unsere gemeinsame Geschichte eingezogen ist.
Liebste Grüße,
Eure Selmin
Petra
Liebe Selmin,
Vor einigen Wochen war ich auf dem japanischen Kulturfestival in Berlin und bin genau auf diese Technik dort gestoßen.
Es ist die Wertschätzung den Dingen gegenüber und es hat mich fasziniert.
Deine Reparatur hat der Vase etwas Besonderes gegeben und ich werde mich vielleicht jetzt auch einmal daran versuchen. Danke und viele Grüße
Petra