Zu enge Kleidung weiten - Enge Kleidung weiter nähen - Möglichkeiten - Tweed & Greet

Seitdem ich meinen Blogpost zum Thema „Motiviert nähen wenn sich die Maße oft ändern“ geschrieben habe, bekomme ich immer wieder Fragen, ob und wie ich gekaufte Kleidung weiter nähe, wenn sie zu eng wird. Auch meine Instagramstory, bei der ich meinen selbstgenähten Rock vergrößert habe, hat sehr viele Fragen dazu bekommen, wie das denn bei gekaufter Kleidung ginge. Eure Euphorie, Kleidung weiten zu können, war riesig!

Wer mir auf Instagram folgt, weiß, dass Laura und ich gerade an einem Online-Workshop zum Thema „Kleidung Reparieren“ arbeiten. Dabei wird es auch einen Exkurs zu “Kleidung anpassen” geben. Und während ich gerade wieder meinen Kleiderschrank auf die Sommergarderobe umstelle, widme ich mich aktuell auch zu eng gewordenen Kleidungsstücken und analysiere solche, die ich wirklich gern trage, auf ihr Erweiterungspotenzial. Ein guter Zeitpunkt also, um hier mal über die mögliche Maßnahmen zu schreiben, die bei zu eng gewordener Kleidung durchgeführt werden können.

Zu enge Kleidung weiten - Enge Kleidung weiter nähen - Möglichkeiten - Tweed & Greet

Kleiner Spoiler vorneweg: Anders als das enger Nähen von zu weiter Kleidung, ist das Weiten mit etwas mehr Aufwand verbunden und dem unermüdlichen Einsatz eines Nahtauftrenners. Den Möglichkeiten des Weitens sind auch schneller Grenzen gesetzt, wenn man so wenig wie möglich vom Stil oder der Passform des Kleidungsstücks ändern (lassen) möchte. Nicht jede*r die Fähigkeiten, selbst zu nähen, daher ist es völlig okay, solche Arbeiten bei der Änderungsschneiderei eures Vertrauens durchführen zu lassen – auch wenn ihr nähen könnt. Jedoch gibt es auch bei der besten Änderungsschneiderei Grenzen. Denn dort, wo sich kein Stoff zum Vergrößern findet, kann auch das Kleidungsstück nicht einfach vergrößert werden. Aber beginnen wir von vorn.

Das Prinzip des Kleidung Weitens

Wenn ein Kleidungsstück gut sitzt, dann hat es eine optimale Passform an Schultern, Ärmeln und dem Rest des Körpers. Fall, Bequemlichkeit und Bewegungsspielraum sind so, wie es die Passform des Kleidungsstücks beabsichtigt. Das Verhältnis von Körpermaßen und den fertigen Maßen des Kleidungsstücks sind ausgeglichen. Sitzt ein Kleidungsstück zu eng, bietet es im Verhältnis zu den Körpermaßen zu wenig Stoff. Das beeinflusst Passform und Bewegungsfreiheit. Das Kleidungsstück zwickt. Um es zu weiten, muss irgendwo also Stoff freigesetzt werden. Dieser Stoff ist versteckt, zum Beispiel in Nahtzugaben, in Keller- oder Plisseefalten, oder in Rücken- oder senkrechten Brustabnähern vorn. Je mehr Nahtzugabe existiert oder je breiter die Abnäher sind, umso mehr kann ein Kleidungsstück geweitet werden.

Zu enge Kleidung weiten - Enge Kleidung weiter nähen - Möglichkeiten - Tweed & Greet

Wie bereits in meinem eingangs erwähnten Blogpost geschrieben: Bei selbstgenähter Kleidung können wir im Vorfeld darauf achten, z.B. 2-3 cm mehr Nahtzugabe an den Seitennähten hinzuzufügen, um im Zweifel das Kleidungsstück erweitern zu können. Etwas, dass ich bei Hosen und Röcken immer tue, damit ich später leichter anpassen kann. Bei gekauften Kleidungsstücken von der Stange ist diese Nahtzugabe oft standardisiert bei 1 cm oder 0,7 cm.

Möglichkeiten zu enge Kleidung zu weiten

Zu enge Kleidung weiten durch Seitennähte & Co.

Ist ein Oberteil zu eng, kann in erster Linie über die Seitennähte Nahtzugabe ausgelassen werden. Die Seitennähte werden aufgetrennt und mit weniger Nahtzugabe genäht. Bei 1 cm Nahtzugabe an den Seitennähten, ist die realistisch nutzbare Nahtzugabe 0,5 cm. So könnte bei einem Oberteil nur durch die Seitennähte insgesamt ca. 2 cm hinzugefügt werden. Je nachdem wie eng das Kleidungsstück sitzt, ist das nicht sehr viel Weite und eignet sich besonders dann, wenn einfach nur ein bisschen Entspannung in die Passform kommen soll. Wenn das Kleidungsstück dann weiterhin gespannt sitzt und an den geöffneten Nähten bereits anfängt zur reißen, kann das Auftrennen und die neue knappe Nahtzugabe dazu führen, dass der Stoff auf den ausgelassenen Nähten beim weiteren Tragen durch die Belastung aufreißt.

Hat ein Oberteil weitere Nähte, wie zum Beispiel eine Naht in der vorderen Mitte oder hinteren Mitte, kann auch hier zusätzlich Weite ausgelassen werden. Genauso kann über Wiener Nähte, die über die Brust gehen, Weite hinzugefügt werden. Oder Plisseefalten könnten knapp unterhalb vom Halsausschnitt oder Hosenbund vereinzelt aufgetrennt werden, wenn vorhanden. Dabei wird aber auf alle Fälle der Stil des Kleidungsstücks nicht mehr eingehalten werden können. Die geliebte plissierte Bluse ist dann am Ende vielleicht einfach “eine Bluse”.

Zu enge Kleidung weiten durch das Reduzieren von Abnähern

Das Öffnen von senkrechten Abnähern im hinteren Rücken oder vorn kann zusätzlich Freiraum im Kleidungsstück verschaffen. Beim Auftrennen der Abnäher solltet ihr berücksichtigen, dass bei Kleidungsstücken der schnell verarbeitenden Modeindustrie, kleine Löcher zur Markierung von Abnäherspitzen in den Stoff gestanzt sein könnten. Abnäher können auch eingeschnitten worden sein, so dass ihr am Ende mit einem Loch im Kleidungsstück dasteht. Daher ist es sinnvoll die Abnäher nicht komplett aufzutrennen und eher leicht zu verschmälern.

Weite bei Kleidern gewinnen durch Reißverschlüsse austauschen

Habt ihr ein Kleid mit einem nahtverdeckten Reißverschluss? Ein bisschen mehr Weite könnt ihr gewinnen, wenn ihr ihn durch einen breiteren sichtbaren Reißverschluss ersetzt und mit etwas weniger Nahtzugabe annäht. Zusätzliches Auslassen von Rückenabnähern kann hier das Kleid wieder luftiger machen.

Französische Nähte auftrennen

Habt ihr euch mal die Seitennähte von euren Blusen angeschaut? Oftmals werden hier französische Nähte verwendet, damit die Nahtzugaben innen sauber aussehen. Die Seitennähte der Blusen werden zunächst links auf links statt rechts auf rechts zusammen genäht, und dann im Anschluss gewendet, und rechts auf rechts genäht. So entsteht innen eine Naht mit sauberen Kanten. Das Auftrennen ist hier etwas aufwändiger. Zunächst wird die äußere Naht aufgetrennt und dann die oftmals mit der Overlock genähte innere Naht. Danach kann das Kleidungsstück mit einer sehr schmalen Nahtzugabe rechts auf rechts zusammengenäht werden. Wer hier zum Beispiel auch Ärmel auftrennen muss, wird dabei teilweise auch die Manschetten mit auftrennen müssen, damit hier die Nahtrichtung einheitlich ist.

Zu enge Kleidung weiten - Enge Kleidung weiter nähen - Möglichkeiten - Tweed & Greet

Ärmel weiten

Wenn ihr Ärmel weiter nähen möchtet, solltet ihr darauf achten, dass die Schulternaht oben passt. Ist das Kleidungsstück an der Armkugel zu eng, ergibt es keinen Sinn, das Kleidungsstück unten an den Ärmelnähten weiter zunähen, da die Passform für diese Korrektur nicht mehr Stoff hergibt.

Get creative and make it fit!

Eine meiner liebsten Möglichkeiten, wenn Kleidung gar nicht mehr passen will, ist Refashion. Ein Kleid, das mir zu kurz wurde, habe ich kurzerhand zu einem T-Shirt gekürzt. Oder aus zu engen Jeans eine Tasche genäht. Aus Hemden, die meinem Mann nicht mehr passten, wurde eine Bluse für mich. Mit Refashion können wir kreativ sein und das geliebte Kleidungsstück kann uns noch ein Stück weiter begleiten.

Es gibt online unzählige Tutorials, Kleidung anzupassen durch das Hinzufügen von Stoffdreiecken oder Streifen. Ich selbst habe es so noch nie probiert. Wie auch die Refashion-Ideen kann dies auch eine gute Möglichkeit sein, Kleidung wieder tragbar zu machen. All diese Tipps eignen sich für Menschen, denen es egal ist, wenn das Kleidungsstück später nicht mehr dem ursprünglichen Kleidungsstück entspricht.

Was kann ich schon beim Kauf beachten, damit Kleidung langfristig passt?

Da meine Maße immer wieder schwanken, habe ich im Laufe der Jahre gelernt, auf bestimmte Dinge bei der Kleidungsauswahl zu achten, damit ich meine Kleidungsstücke langfristig tragen kann. Wo immer es geht, möchte ich eigentlich darauf verzichten, ein Kleidungsstück irgendwann weiten oder abändern zu müssen, weil es zu eng geworden ist. Der Stoff der Kleidung ist an den zu engen Stellen Spannung ausgesetzt, was auf Dauer zu Rissen und dünnen Stellen und so wiederum zu schnell zu Reparaturaufwand oder gar einem zu kurzen Leben für das Kleidungsstück führen kann.

Ich achte beim Kauf darauf, dass die Kleidungsstücke eher etwas weiter oder oversized geschnitten sind. Nicht etwa weil ich kaschieren möchte, sondern weil locker geschnittene Kleidung für längere Zeit genug Platz für Veränderungen bietet, ohne dass die Bequemlichkeit oder die der Stoff leidet. Dabei ist mir aber wichtig, dass die Passform trotzdem meiner Größe entspricht. Ich kaufe nichts, das eine Größe größer ist, nur damit ich im Zweifel später auch noch reinpasse. Das Kleidungsstück sollte trotz Lässigkeit gut sitzen. Bei engeren Hosen achte ich darauf, dass es an den Seiten Nahtzugabe gibt, die nicht getrennt versäubert wurde und dass ein Stretchanteil enthalten ist. Enge T-Shirts und Tops kaufe ich auch bevorzugt aus dehnbaren Strickstoffen, die viele Veränderungen lange Zeit mitmachen.

Ich freue mich immer sehr, wenn ich Kleidungsstücke finde, die breitere Nahtzugaben haben, die ausgelassen werden können. Das ist für mich immer ein Zeichen, dass hier nicht nur auf schnelle und kostenreduzierte Produktion gesetzt wurde und die Kleidungsstücke hochwertiger hergestellt wurden.

Umso mehr ärgere ich mich, wenn es z.B. eng geschnittene Jeanshosen gibt, deren Nahtzugaben einfach doppelt versäubert wurden, ohne das kleinste Anpassungspotenzial. Auch wenn Recycling und Circular Fashion in der Modeindustrie immer mehr in den Vordergrund rückt, sollte bei der Produktion vermehrt darauf geachtet werden, dass Kleidungsstücke anpassbar und somit von vornherein länger tragbar sind:

  • Breitere Nahtzugaben
  • getrennt versäuberte Seitennähte
  • Extra Saumzugaben
  • Nähte am Bund mit extra Nahtzugaben …

Die Liste ließe sich bestimmt erweitern auf dem Weg zu weniger Textilmüll und mehr verantwortungsvollem Handeln seitens der Modeindustrie.

Finger weg von Kleidungsstücken die direkt am Anfang zu klein sind

Ist ein Kleidungsstück bei der Anprobe bereits zu eng oder zu klein, lasse ich es liegen. Egal wie hübsch es ist. Sätze wie, „das kann ich ja ändern lassen“ oder „vielleicht passe ich da bald wieder rein“, habe ich gar nicht erst im Repertoire. Es ist prädestiniert dafür, als Schrankhüter aussortiert zu werden. Zwickt das Kleidungsstück bei der Anprobe, kommt es nicht mit.

Lohnt sich der Aufwand, Kleidung zu weiten?

Wenn ich noch nicht bereit bin, mich von einem Kleidungsstück zu trennen, analysiere ich es auf die Beschaffenheit. Wie beansprucht ist das Kleidungsstück bereits? Wieviel Aufwand muss ich hineinstecken? Wie sehr liebe ich es. Ich bin froh, meinen Jeansrock erweitert zu haben. Es ist einfach toll, ihn wieder tragen zu können, ohne dass er zwickt oder hochrutscht. Und auch eine Seidenbluse habe ich vor kurzem trotz viel Aufwand aufgetrennt, geflickt und insgesamt etwas weiter genäht. Aufgrund von bereits vorhandenen Rissen war es nichts mehr, was ich verkaufen oder weiterverschenken würde, also habe ich versucht, sie wieder tragbar zu machen. Es hat geklappt und ich werde sie so lange weiter tragen, bis sie endgültig nicht mehr möchte.

Es ist ein wunderbares Gefühl, auf diese Weise Wertschätzung und Arbeit in ein untragbar gewordenes, geliebtes Kleidungsstück zu investieren und es am Ende wieder tragbar zu machen. Wie oft und wieviele Teile ihr anpassen (lassen) möchtet, bleibt dabei aber ganz euch und eurem Motivationslevel (und auch Budget) überlassen. Seid hier auch gut und wertschätzend zu euch. Gerade wenn sich der Körper verändert hat, kann es zusätzlich frustrierend sein, vor einem Stapel mit Kleidungstücken zu sitzen und sie alle ändern zu müssen.

Es ist genauso wertschätzend – auch euch gegenüber, noch gut erhaltene Kleidungsstücke, die zu eng sind, mit Freundinnen zu tauschen, zu verschenken, zu verkaufen oder auch auf Vermietplattformen zu vermieten. Und sich im Gegenzug dazu wieder gut passende Kleidungsstücke zu kaufen oder zu nähen und euch so wieder eine schöne Wohlfühlgarderobe zusammenzustellen, die ihr wieder lange Zeit tragen könnt.

Liebste Grüße,

Eure Selmin

Selmin Ermis-Krohs

Als Slow Fashion & Living Enthusiastin bin ich der kreative Kopf hinter dem Blog Tweed & Greet und Co-Founderin des Kölner DIY Fashion Labels Schnittduett. Ich bin Buchautorin von zwei Nähbüchern, Fotografin, Designerin, Content Creator, Multilinguistin, stolze Hundemama und ich glaube sehr stark daran, dass wundervolle Dinge geschehen können, wenn man sich erlaubt, ein langsameres und kreativeres Leben zu führen. Mit Ideen rund um mein Steckenpferd DIY Fashion zeige ich hier neben nachhaltiger und selbstgenähter Mode, Anregungen, die euch anfeuern sollen, mehr Kreativität in den Alltag zu bringen und auch mal etwas Langsamkeit zu zelebrieren.

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3 Kommentare

  1. Antworten

    Ina

    27. März 2022

    Liebe Selim,
    ein sehr wertvoller Beitrag! Erst heute habe ich einen meiner liebsten selbstgeschneiderten Röcke geändert, um Platz für die Coronapfunde zu machen – fühlt sich gut an, nicht nur rund um die Hüfte! Es ist schön, etwas Gutes bewahren zu können. Außerdem vergessen wir (Frauen) leider viel zu oft, dass sich unsere Kleidung unserem Körper anpassen sollte und nicht umgekehrt… 🙂
    Grüße aus dem Nachbardorf!

  2. Antworten

    Ilka

    2. April 2022

    Danke dir, das sind gute Tipps. Ich bin übrigens froh um die eine Einzelstück-Hose, die ich (weil lang genug) und eine Nummer größer damals doch gekauft hatte, da muss ich jetzt nur die Abnäher rauslassen, die ich selbst gemacht hatte. Meine Büroröcke muss ich mal scharf angucken, ob da noch was zu machen ist.
    Liebe Grüße + schönes Wochenende
    Ilka

  3. Antworten

    Valentina von Stramplermacher

    21. Juni 2022

    Och ja, ich hab mir so vorgenommen meine Schwangerschaftspfunde abzunehmen. Jetzt ist die Maus schon 5 Jahre alt! Es kamen die Corona-Pfunde hinzu. Jetzt arbeiten wir extrem viel an unserem Baby „Stramplermacher“ und sitzen viel, dass wieder neue Kilos bei mir angekommen sind.
    Ich glaube viele Sachen können nicht so viel erweitert werden, aber manche – insbesondere von der Lockdownzeit – können vielleicht noch erweitert und gerettet werden.
    Vielen Dank für deine wundervolle Anleitung.
    Alles Liebe
    Valentina

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